Manchmal reicht schon ein halbes Kapitel – und man ist angekommen. Nicht nur in einer Geschichte, sondern an einem Ort, in einem Gefühl. Genau so ging es mir mit Anne Barns’ neuem Roman Der Duft von Kuchen und Meer. Kaum hatte ich die ersten Seiten gelesen, roch ich ihn förmlich: den Duft von Vanille, Zimt und salziger Meeresluft, vermischt mit einer Prise Nostalgie und ganz viel Herzenswärme.
Anne Barns – vielen bekannt durch Apfelkuchen am Meer – entführt uns erneut auf eine Nordseeinsel, dieses Mal nach Amrum. Und sie tut das mit einer Sprachgewandtheit und Sinnlichkeit, die ihresgleichen sucht. Ihre Beschreibungen sind so lebendig, so liebevoll und bildhaft, dass man sich unweigerlich dabei ertappt, wie man mit nackten Füßen durch den Sand läuft, die salzige Luft einatmet und sich auf eine heiße Tasse Tee mit einem dicken Stück Butterkuchen freut.
Ein Reetdachhaus, ein Backtisch und ein Hauch Vergangenheit
Im Zentrum der Geschichte steht Maren, eine warmherzige, leicht verletzliche Konditorin, die seit dem Tod ihres Lebensgefährten alleine ihre kleine Tochter Leni großzieht. Als ihre Großmutter Undine ihr völlig überraschend ein Haus auf Amrum vermacht, bricht sie kurzerhand auf – mit gepackten Koffern, vielen Fragen und einem Herzen, das mehr Hoffnung als Mut trägt.
Das Haus gleich hinter den Dünen wirkt wie aus einem Bilderbuch. Und als Maren und Leni in einem alten Schuppen auf einen staubigen, wunderschönen Backtisch stoßen, beginnt nicht nur der Teig zu duften, sondern auch die Erinnerungen. Doch nicht alle sind süß – denn da ist auch Ocke, der grummelige Bruder von Oma Undine, der kein Geheimnis daraus macht, dass Maren auf der Insel nicht willkommen ist.
Was hat Undine damals zur Flucht bewegt? Warum hat sie nie zurückgeblickt? Maren beginnt zu graben – in alten Geschichten, in Familiengeheimnissen, in längst vergessenen Briefen – und entdeckt dabei nicht nur die Vergangenheit ihrer Familie, sondern auch sich selbst neu. Und dann ist da noch Mattes. Der wortkarge Insulaner, der mehr sagt mit einem Blick als andere mit hundert Worten.
Inselgefühl mit Herz und Meersalz
Anne Barns versteht es meisterhaft, ihre Leser in eine Welt eintauchen zu lassen, die sich nach Heimkommen anfühlt – auch wenn man noch nie auf Amrum war. Ihre Figuren sind lebendig, vielschichtig und durchweg sympathisch. Die Dialoge sind mit einem Augenzwinkern geschrieben, die Schauplätze liebevoll gezeichnet, inklusive kleiner friesischer Begriffe, die das Inselgefühl wunderbar authentisch machen.
Ein kleiner Wermutstropfen: Die sechsjährige Leni wirkte auf mich in ihren Dialogen manchmal etwas zu altklug für ihr Alter. Ein paar kindlichere Reaktionen hätten ihrem Charakter vielleicht noch mehr Natürlichkeit verliehen. Aber das ist wirklich Jammern auf sehr hohem Niveau.
Der Duft von Kuchen und Meer ist genau das, was man sich von einem Wohlfühlroman erhofft – ein Ort zum Wegträumen, ein bisschen Familiengeheimnis, viel Herzklopfen und ganz viel Kuchen.
Wer die Inseln liebt, wer gern barfuß im Sand spaziert, während irgendwo im Hintergrund Apfelkuchen duftet – der wird dieses Buch verschlingen.
Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung – und volle 5 von 5 Sternen.
Anne Barns hat es wieder geschafft: Mein Herz hat nun ein kleines Stück Amrum mehr.