‚Engelsgabe’ von Anders Roslund – Willkommen in der Abgrunderfahrung von Stockholm
‚Engelsgabe’, geschrieben von Anders Roslund (Ewert Grens ermittelt (Band 3)), erschienen im Ullstein Verlag.
https://www.ullstein.de/werke/engelsgabe/paperback/9783864932045
Manchmal trifft einen ein Buch wie ein Schlag in die Magengrube – ‚Engelsgabe‘ von Anders Roslund ist genau so ein Buch. Willkommen in Schweden, dem Land der Fjorde, Elche und… ja, genau, der Hölle auf Erden, wenn man Roslunds neuesten Kriminalroman liest. Hier wird Stockholm nicht als malerische Hauptstadt mit idyllischen Ecken präsentiert, sondern als düsteres Labyrinth, in dem die schlimmsten Albträume Wirklichkeit werden.
Worum geht’s?
Zwei junge Frauen träumen von einer besseren Zukunft im Ausland, doch was sie stattdessen erwartet, ist ein gnadenloser Albtraum. In Stockholm angekommen, finden sie sich in einem grausamen Netz des Menschenhandels wieder. Sie sind in einer Wohnung eingesperrt und müssen ihre Körper verkaufen – ein furchtbares Leben, in dem sie wie Ware behandelt werden. Doch es kommt noch schlimmer: Wenn sie „ausgedient“ haben und nicht mehr rentabel sind, wird ihnen auch noch das Letzte genommen, was ihnen gehört – ihre Organe.
Wer jetzt denkt, das klingt nach einem Horrorfilm, hat recht – nur dass dies der Albtraum ist, in den Roslund uns mit Ewert Grens drittem Fall mitten hineinzieht. Unser altbekannter, griesgrämiger Kommissar setzt alles daran, diesen perversen Kreislauf zu durchbrechen. Dabei stößt er auf schmutzige Geheimnisse, die bis in die Reihen seiner eigenen Kollegen reichen. Grens muss erkennen, dass der Feind manchmal näher ist, als man denkt.
‚Engelsgabe’ ist nichts für schwache Nerven. Roslund hält sich nicht zurück, wenn es darum geht, die schreckliche Realität des Menschenhandels ungeschönt darzustellen. Dabei schafft er es aber, die Opfer nicht zu bloßen Statisten in einem blutigen Krimi zu degradieren, sondern ihre Menschlichkeit und Verzweiflung fühlbar zu machen. Das ist auch der Grund, warum dieses Buch so unter die Haut geht. Man liest es nicht einfach – man erlebt es.
Ewert Grens ist wieder einmal in Topform: Misanthropisch, stur und doch getrieben von einer unerschütterlichen Moral. Seine Ermittlungen führen ihn in die tiefsten Abgründe der Gesellschaft und lassen ihn an der Menschheit zweifeln – aber niemals aufgeben. Was diesen Fall besonders spannend macht, ist die dunkle Wendung, dass Grens plötzlich gegen eigene Kollegen ermitteln muss. Die Spannungskurve ist ordentlich gestrafft, und man will unbedingt wissen, wie tief dieser Sumpf tatsächlich ist.
Warum „nur“ 4 Sterne? So gut der Plot auch ist, gibt es ein paar Längen im Mittelteil, die das Tempo etwas ausbremsen. Zudem setzt Roslund manchmal ein bisschen zu sehr auf drastische Schockeffekte, was die Story nicht immer nötig hätte. Hier wäre weniger manchmal mehr gewesen. Aber das ist meckern auf hohem Niveau, denn unterm Strich ist ‚Engelsgabe‘ ein echter Pageturner, der einen bis zum letzten Satz nicht loslässt.
Wenn ihr auf harte, realistische Krimis steht, die sich nicht scheuen, auch mal richtig unangenehm zu werden, dann ist ‚Engelsgabe’ ein Must-Read. Roslund beweist einmal mehr, dass er zu den Besten seines Fachs gehört – und dass die besten Geschichten manchmal die sind, die uns am meisten verstören. Willkommen in der Hölle, Ewert Grens wird euch den Weg weisen.
Habt ihr schon mal ein Buch von Anders Roslund gelesen? Was haltet ihr von skandinavischen Krimis? Lasst mir eure Gedanken in den Kommentaren da!